NUKLEUS 2

Wir haben soziale und künstlerische Strömungen aufgespürt, zu denen Zeitzeugen und Zeitgenossen ihre Archive und Arbeitsräume öffnen. In den Veranstaltungen vom 5. bis. 12. Oktober in der Galerie der Schlumper breiten wir die Zeit vom Beginn der 90er bis in die 2010er Jahre aus.

Und dann: Was hat sich nach den wilden, autonomen, anarchischen, kreativen Jahrzehnten 70/80 getan?

Wolfram Simon und Hinnerk K Börnsen arbeiten seit 45 Jahren zusammen. Sie waren Mitbegründer des WELTMUSIKINSTITUT. Sie spielten davor schon mit anderen Musikern unter dem Namen dada dat zusammen. In ihrer Musik verbinden sie Improvisation und Komposition. Wolfram Simon ist Multiinstrumentalist. Seine polytonalen Kompositionen entfalten sich aus dem Wechselspiel konkreter Grooves, freier Gestik und abstrahierenden Spielweisen. Hinnerk K Börnsen, multimedialer Performancekünstler entwickelte einen speziellen Schlagzeugsound: das SPACE-DRUMMING – pulsierende Klanggewebe. ‚Mitglieder‘ des Weltmusikinstitus treten in unterschiedlichen Ensembles auf. Das jüngste Konzert war eine Quintett-Formation im Orchesterstudio der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

Hörbeispiele von Wolfram Simon: Flageolett Reverse // Moog solo

Zeichnung by Hinnerk K Börnsen ©2024

Sie eröffnen die NUKLEUS II-Woche am 5. Oktober im Erinnerungs Welt Café. Die Formation stellen sie für diesen besonderen Anlass passend zusammen.

Der frühere Drummer und Begründer der legendären Buschband gibt das Abschlusskonzert. In den Jahren ‚78 -´84 entwickelten sie einen sehr eigenwilligen Sound, der ihnen viel Ruhm und Erfolg in Italien und der Schweiz bescherte. Nach 40 Jahren erschien vor kurzem eine Doppel-CD. Darunter der revoltierende Song gegen Axel Caesar Springer: AC Jumper.  Kushan Glückmann ist inzwischen als Komponist, Percussionist und Sänger unterwegs. Nach wie vor mit kritischen Texten zu Losgeh-Rhythmen.

Ausschnitt aus FRUST ©Kushan Glückmann und Milli Zartbitter

Ruth-Esther Geiger präsentiert ihre Reportage ‚Zwischen Müll und Schickeria – das Hamburger Karolinenviertel‘, die sie Ende der 1980er über das Karoviertel gedreht hat. Eine Bestandsaufnahme der kulturellen und anderer Aktivitäten, Unternehmen, aber auch der damaligen sozialen Verhältnisse, die in die unterschiedlichsten Lebens-, Freizeit- und Arbeitssituationen führt: Vom Schlachthof über die Teemanufaktur ‚Tagtraum‘ bis zum ‚Künstlerhaus Vorwerckstift‘ und der Clubdisco ‚Mambo Jambo‘. Damals schon waren Ansätze zu erkennen, dass dieser Stadtteil langsam als hip angesehen wurde. Seinerzeit wurde das teils noch abgestritten. Einiges ist wieder untergegangen davon, anderes hat sich verstärkt, vieles lebt immer noch inspirierend und einladend zwischen Marktstraße und Feldstraße. Der Film zeigt den Charme und die Widersprüchlichkeit – aber auch schon die heute sichtbar gewordene Gentrifizierung des Karoviertels. Wir diskutieren gern darüber mit Besucher*innen der Veranstaltung und Beteiligten von damals. Vom Alltag und den Wünschen junger Romnja handelt der aktuelle Animationsfilm ‚Meine Baba und ich‚. Zwei der Macherinnen sind anwesend. Der Film enstand bei einem Projekt von KAROLA e.V.

Andy Hertel, der im Dezember 2023 verstarb, hat uns noch das Motiv des Erinnerungs Welt Cafés hinterlassen. Er wollte einen Raum bei den Schlumpern einrichten, der an die Buch Handlung Welt erinnern sollte. Wir statten einen Teil der Galerie in diesem Sinne aus: als Musikbühne, Gesprächspodium und Präsentationsfläche. Ein idealer Platz auch zum Entspannen zwischendurch.

Heilwig Jacob stellt ihr eigens für das Erinnerungs Welt Café gemalte Wandbild vor. 24 Teile auf insgesamt 200cm x 300cm. Jedes Einzelstück (50×50) kann käuflich erworben werden. Ein Teilbild kostet 225€. Ein Blick ins Atelier für die Gesamtansicht.

KARO BOX

Damit bieten wir Besuchern, Anwohnern, Flaneuren, Angestellten und allen mit dem Karoviertel Verbundenen die Möglichkeit, sich über diesen Stadtteil zu äußern. Wir machen von den Statements kurze Video-Aufzeichnungen. Alles – natürlich außer Schmähungen, Drohungen und Beleidigungen – ist möglich. Von Kritik bis Karikatur, vom Grußwort bis Gastro-Lob. Am Ende der Woche präsentieren wir im Erinnerungs Welt Café einen Zusammenschnitt der Beiträge. Aufzeichnungsbereit ist die KARO BOX vom 6.-11. Oktober ab Mittag.

Daniel Dubbe auf dem Podium

Schriftsteller, Journalist, Drehbuchautor, Übersetzer (*1942) Zwischen 1974 und 1983 gab er zusammen mit Christoph Derschau, Bernd Cailloux und Kiev Stingl u. a. die Literaturzeitschrift Boa Vista heraus. Seine Werke überspannen eine große Bandbreite. Wilde Männer, wenig Frauen. Erzählungen (1984), Keine Angst vor Niemand. Über die Siebziger, die Bewegung 2. Juni und die RAF (2004), Der Salonfaschist und andere beste Freunde (2014), Jugendfreunde (2023). Schon 1984 erhielt er den Förderpreis für Literatur der Freien und Hansestadt Hamburg. Dubbe wird aus seinen Texten lesen.

Mit ihm unterhält sich

Michael Kellner

Kellner (*1953 in Kassel)) ist Verleger, Buchhändler, Übersetzer und Fotograf. Seit 1975 lebt er in Hamburg, wo er von 1977 – 1981 mit Hilka Nordhausen die Buch Handlung Welt gestaltete. Er gilt als Experte für die amerikanische Beat Generation, deren Vertreter er teilweise persönlich kannte (A.Ginsberg, W.S. Burroughs, T.Joans). Zuletzt erschien im Aufbau Verlag (2022) eine von ihm übersetzte und herausgegebene Ginsberg-Werkauswahl in zwei Bänden (Prosa und Lyrik).

Michael Heering // Galerie Genscher

Die Galerie Genscher, war ein Ort für non-profit Kunst/Performance/Aktion. Sie hatte bis vor Kurzem die Türen im Hinterhaus der Marktstraße 138 geöffnet. Das Ausstellungs- und Kulturprogramm der Galerie Genscher umfasst seit 2007 Präsentationen von Gegenwartskunst, Lesungen, Filmabende und Symposien, vorwiegend von jungen Hamburger Künstlerinnen und Künstlern. Der sozio-kulturelle und situative Kontext des Projektes, das Karolinenviertel, hat den künstlerischen und kuratorischen Prozess der Galerie Genscher über eine Dekade hinweg maßgeblich geprägt. In diesem Jahr realisiert die Galerie Genscher in Kooperation mit dem Kunsthasser Stammtisch der ’No Room Gallery’ das relational-ästhetische Restaurant ‘Chez Genscher’ in dessen Reihe ‘Wir können auch anders’. Michy Heering (*1974), ist Künstler und leitet das Projekt seit 2009. Unter dem Titel ‘Once Upon A Time’ präsentiert er im Rahmen von NUKLEUS II Materialien zu Konzept und Praxis der Galerie Genscher. Man kann mit ihm ins Gespräch kommen.

Monika Wucher // Annette Wehrmann

Die Kunsthistorikerin Monika Wucher stellt die Arbeit von Annette Wehrmann (1961 – 2010) vor. Die Künstlerin und Schriftstellerin lebte im Karolinenviertel an der Marktstraße, in direkter Nachbarschaft zur ehemaligen Egal-Bar. Sie beschäftigte sich in ihrer Kunst vielfach mit ihrem sozialen Umfeld, dem Alltag und der Stadt. Der Verein Ort des Gegen e.V. betreut den künstlerischen Nachlass von Annette Wehrmann.

Postkarte und Schwammobjekt, Fotos: Ort des Gegen e.V.

Christoph Rauch ist bildender Künstler, seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen situations- und kontext-basierter Kunst https://www.instagram.com/christoph_rauch_/. Dazu zählen Projekte im öffentlichen Raum des Karolinenviertels, u. a. der Film ‚Location Karolinenviertel‘ (2000, erschienen als Edition#03 bei Nukleus Karoviertel, 2023). Christoph Rauch präsentiert Materialien zu seinem aktuellen Publikationsprojekt.

Nils Emde/Elena Getzieh // Egal Bar

Die Egal Bar stand an der Stelle der heutigen Galerie der Schlumper. „Scheiß auf Regeln, Scheiß auf Konventionen, Scheiß auf Profit“ fasste der Journalist Jan Freitag das Prinzip zusammen. Von 1994 bis 2012 existierte sie im Viertel. Nils Emde und Elena Getzieh haben nach dem Abriss die Überreste bewahrt und lassen die Atmosphäre dieses Ortes wieder spürbar werden. Originalmobiliar und Tapetenrelikte erzeugen Resonanz auf diesen so ganz anderen Kultur-Container. Die Reihe von Interviews, die sie über die Jahre dokumentiert und publiziert haben, wollen sie in der Woche fortsetzen. Besucher, womöglich Zeitzeugen, können Emde/Getzieh am Mittwoch zwischen 15 und 18 Uhr in der Galerie treffen.

Theke

Spaziergänge durchs Karoviertel heute // Podium

Wer heute Spaziergänge im Karoviertel unternimmt, sieht und erlebt Anderes als vor 30 oder 40 Jahren. Die Moderatorin, Autorin und Universitätsdozentin Ruth-Esther Geiger und der Kunsthistoriker Jörg Schilling sprechen auf dem Podium im Erinnerungs Welt Café über ihre Eindrücke. Schilling ist Herausgeber der hamburger bauhefte, (u.a. über die Rindermarkthalle und die Schanzen-Höfe) und arbeitet über die sozio-kulturelle Entwicklung des Stadtteils. Er bereitet derzeit die Herausgabe eines Bauhefts über den Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld vor. Mit dabei sind Coco und Peter Ohrt. Beide sind Mitbegründer der Kulturfrabrik Kampnagel. Sie leben seit mehreren Jahrzehnten im Viertel und leiten dort seit 2003 die ‚Schauspielschule Bühnenstudio der darstellenden Künste‘.

Die Kunsthistorikerin Burcu Dogramaci und der Kunstsammler Peter Hess haben sich mit Freund:innen und Wegbegleiter:innen von Hilka dafür eingesetzt, dass im Andenken an sie eine Tafel am Eingang zur ehemaligen Buch Handlung Welt angebracht wird. Die Einweihung dieser Gedenktafel findet am 4. Oktober um 15 Uhr vor dem Haus Marktstraße 12 statt. Wir erwarten prominente Vertreter von Stadt und Kultur, Freunde aus der Zeit und Kenner der Geschichte von Hilkas Projekt.

Mitmach-Aktion

3 Hamburger Frauen – das sind Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe, Kathrin Wolf. Und sie sind – neben eigenen künstlerischen Arbeiten – bekannt für Projekte im öffentlichen Raum, die sie mit Bürger*innen konzipieren und umsetzen. Für das Karoviertel werden sie eine Spray-Aktion mit Anwohnern realisieren. Am Sonntag, 06. Oktober geht’s los in der Galerie der Schlumper, erst ein kurzer Wokshop drinnen, dan raus auf die Straße. Interessierte melden sich über post@nukleus-karoviertel.de oder direkt in der Galerie der Schlumper (Marktstrasse 131).

‚Morgen ist schon beinah Gestern – wo bleibt das Jetzt?!, 2024

Jedes Einzelbild bieten wir zum Preis von 225€ an. Den aktuellen Stand der bereits verkauften Teilstücke finden Sie hier.

Arbeit an A5

Heilwig Jacob hatte zu Zeiten der Buch Handlung Welt dort schon zwei Wandbilder gestaltet. Am 11. Mai 1979 und 15. März 1983. Ihrem aktuellen 24-teiligen Wandbild gibt sie denTitel Morgen ist schon beinah Gestern – wo bleibt das Jetzt!? Sie unternahm dafür drei Streifzüge durch das Karoviertel auf der Suche nach dem Jetzt. Das Gemälde wird zur Eöffnung am 5. Oktober vorgestellt. Jedes Teilstück ist käuflich zu erwerben. Am 11. Oktober wird das Werk an die Käufer übergeben.

alle Fotos ©Michael Kellner 2024

D4

Angela Rüpke hat sich mit Hinnerk K Börnsen vom Weltmusikinstitut zusammengetan und zeigt ihre Tanzperformance im Yogaraum der Schauspielschule Bühnenstudio. Sie schreibt dazu

„Ich gehe auf der Asche meiner Ahnen“
Es gibt viele Arten, den Körper zum Träumen zu bringen.
Im Butho-Tanz ist es das Bild des „gebrochenen Körpers“, in dem der Bruch mit traditionellen
Tanz-und Theaterkonventionen und unsere Verletzlichkeit zum Ausdruck kommt.
Langsamkeit am Rande des Stillstands dehnt Zeit, schafft Raum.
Innere Impulse zeichnen seismografische Bewegungsmuster.
Der Körper meldet, die Seele spricht.
Wie es im Butho heißt:
„Der Körper träumt, die Seele führt“

Vorführung KARO BOX

Im Erinnerungs Welt Café werden wir das Video aus der Karo Box präsentieren. Anwohner, Besucher und Passanten haben ihr Eindrücke, Vorstellungen und Beobachtung im und zum Karoviertel geäußert. Wir zeigen das Mosaik der Woche.

Das Karoviertel als Schmelztiegel. Nochmal alles ansehen, Menschen treffen, ins Gespräch kommen und mit den erworbenen Bilder aus dem Wandgemälde von Heilwig Jacob nach Hause gehen. Zwischendrin immer mal eine Vorführung der Botschaften aus der KARO BOX.