Rip Off

Hamburgs erster Punk-Plattenladen öffnet im April 1979 in der Feldstr. 48 mit den Resten des Büchertisches der Ausstellung „25 Jahre Rock’n’Roll“ und mit den angesagtesten Punk-Badges. Der Laden ist ‚geschäftsbefreite‘ Kernzelle und Verbreitungsort für Musik von Künstler:innen, die nach Ausdruck für den aufrührerischen Zeitgeist suchten und dort Verleger fanden. Im Bendula-Club darunter tobten Afro-Beat und Pogo-Tanz. Aber schon 1980 machte Gründer Klaus Maeck die Ladentür wieder zu und richtete einen Mailorderversand ein. In diesem Jahr gründete Alfred Hilsberg das Label ZickZack Records. Der Alleinvertrieb für die Scheiben lag bei Rip Off. Nach vielen Auf- und Abschwüngen musste Rip Off 1984 Konkurs anmelden.

Die Entstehung

Klaus Maeck beschreibt in einem unveröffentlichten Text den Anfang des Rip Off so: „Die Nachtschicht (Anm.: als Taxifahrer) fing gerade an. Im Kofferraum hatte ich die druckfrische Ausgabe der zweiten Cooly Lully Revue, als sich meine zwei Passagiere über die aufregende Punkszene in London unterhielten. Einer der Beiden war Alfred Hilsberg, der davon sprach, bald eine Ausstellung in der Markthalle zu organisieren. Sein Motto war ‚25 Jahre Rock’n’Roll‘, Punk sollte als neuestes Subgenre entsprechend gewürdigt werden. Auch wenn Punk in London schon zwei, drei Jahre

köchelte, gab es hier nur spärliche Informationen darüber und kaum Platten zu kaufen. Die eingefahrenen Strukturen der Plattenindustrie und auch der Musikpresse waren noch nicht bereit für eine Musik, die genau dieses System in Frage stellte. „Ich hab ein Interview mit Johnny Rotten in meiner neuen Zeitung, über Patti Smith ist auch was drin.“ Natürlich musste ich das meinen Passagieren auf’s Auge drücken. Ich gab ihnen die druckfrische Zeitschrift und meine Telefonnummer. Nur wenige Tage später schlug Alfred mir vor, während der Laufzeit der Ausstellung einen Büchertisch zu organisieren, mit den Zeitschriften aus meinem kleinen Underground-Katalog und weiteren, aus England und den USA importierten Büchern und Magazinen zum Thema. Die Ausstellung und das Abschlussfestival waren ein voller Erfolg und ein riesiger Energieschub für die junge Szene. Auch ich war angefixt und half Alfred, viele weitere Konzerte und Festivals in der Markthalle zu organisieren: ‚Into the Future’, ‚In die Zukunft‘, ‚Geräusche für die 80er‘ waren die richtungsweisenden Titel und Mottos. Die jungen Leute dürsteten nach neuer Musik und strömten in den beklopptesten Aufmachungen zu den Konzerten. Von da an passierte alles in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit und es gab Wichtigeres als Cooly Lully. Die zweite Ausgabe war dann schon die Letzte.  Das Glück oder wer sonst wollte es, dass es in meiner WG einen nicht benutzten Ladenraum gab. Ich musste nicht lange überlegen. Statt die am Büchertisch nicht verkauften Bücher und Hefte zurückzusenden, behielt ich sie für die Grundausstattung des spontan geplanten Plattenladens. Auch wenn es zwar noch so gut wie keine Platten gab, die neue Musik lag in der Luft, die Explosion war nicht mehr aufzuhalten. Als dann im April 79 der Rip Off-Laden öffnete, war er vom ersten Tag an Treffpunkt für die Hamburger Punks. Ein toller Platz zum Abhängen, eine Kontaktbörse. Denn sie wissen nicht, was sie tun sollen. (Video mit gleichem Titel weiter unten) Die Badges liefen bombig, die Leute brauchten dauernd neue Motive und steckten sich ihre Jacken voll damit. Halbe Schulklassen kamen ängstlich in den Laden, sie hatten das in der Bravo gesehen. Alle kauften dann die gleichen Badges, wir kamen mit dem Nachschub kaum hinterher und schaffen uns Geräte an, um die Dinger selbst herzustellen. Für die Anarchopunks war das natürlich verachtenswerter Kommerz, wie jedes Geschäft – daher gehe ich recht in der Annahme, dass viel davon geklaut wurde. Aber Schwund ist immer, das hab‘ ich früh gelernt.“ undatiert

Klaus Maeck schreibt in Rock Session 5 – Magazin der populären Musik, den Artikel ‚Burger-Krieg im Karolinenviertel‘ (1980). Zitat: Hastu was von Sex Pistols?» Eine Clique 12jähriger. «Hastu God save the Queen? Ja, mir auch. Mir auch. Mir auch.» Sie kaufen sich alle den gleichen Badge und wissen teilweise nicht einmal, daß es die Gruppe nicht mehr gibt. Sie klauen ihren Müttern die Kohle aus dem Portemonnaie, um Badges zu kaufen. Hauen ab von zu Hause und färben sich die Haare grün, schlafen zur Not auch auf der Straße. Ist egal. No Future. Die einzige Zukunft ist Jetzt. […] Ein anderer Traum — die Wahrheit: <Denn sie wissen nicht., was sie tun sollen> … der Titel eines anderen Films unserer Gang, der die Situation im Karoviertel dokumentiert: Langeweile auf der Straße, die durchaus produktiv genutzt wird durch Saufen, Tanzen, Albern und Klauen bis zum gespielten Exzeß: der Tod: Terroristen werden weggeschleppt/ Polizeibrigaden beenden das Vergnügen. Das Ende des Films ist vom Fernsehen abgefilmt und wird bald darauf wieder zur Wirklichkeit.

Auf vimeo bitte Passwort jamesdean eingeben.

‚Denn sie wissen nicht, was sie tun sollen‘ – Klaus Maeck, 1979, Super 8

Decoder (BRD, 1984, 87 min.) ist ein Film über Cyberpunk und Gegenkultur. Regie: Muscha, auch Drehbuch zusammen mit Klaus Maeck, Volker Schäfer und Trini Trimpop. Der Film basiert grob auf dem Buch The Job, geschrieben von William S. Burroughs, der ebenfalls im Film auftritt.

Trailer DECODER – 1984

Tobias Gruben war Musiker, Sänger, Komponist und Dichter. Seine ersten musikalischen Erfahrungen machte er u. a. zusammen mit Christoph Schlingensief in der Band Die vier Kaiserlein. Anfang der 80er Jahre siedelte er dann nach Hamburg über. Auf seinem Album Die Erde findet sich das Stück ‚Hier im Viertel‘. Es passt verdammt gut aufs Karoviertel.

‚Hier im Viertel‘ – 1992
Das Ende vom Rip Off