In der Marktstube verbrachten Künstlerinnen, Künstler und andere Kneipengänger ihre Nächte. Mac, der Wirt, bezeichnete sich als „Punkwart“, denn mit Punks of All Kind und an ihrer Seite Klaus Maeck und Dietrich Kuhlbrodt war die Marktstube Punkertreff der ersten Stunde. Ideen für Bands, Labels und Festivals wurden hier ausgeheckt. Von 1977 an war der Marktstuben-Zapfhahn ein Vierteljahrhundert lang geöffnet. Mac, der ehemalige Wirt und „Punkwart“, erfreut sich mit inzwischen 82 Jahren seines Lebens.
Der ‚Punkwart‘ Mac und die Marktstube in Hamburg – ein Interview (2016)
Mac, wann hat die Marktstube dicht gemacht?
2001, nach 25 Jahren. Da wurde ich 65 Jahre alt. Da gab es gewisse Veränderungen, neue Läden machten auf, die Leute wurden untreu. Das kann man keinem übel nehmen, die Szene verlagerte sich, und um den Laden nun nicht richtig den Bach runtergehen zu lassen, habe ich aufgehört. Das lief ja über Jahre gut, war Nordeuropas Punkschuppen, das kam durch Alfred Hilsberg, den „Punk-Papst“, er war eigentlich der Auslöser. Alfred war schon vor der Punk-Zeit bei mir Stammgast in der Kneipe, war gut am Wodka wegknallen, wir haben uns ganz gut angefreundet. Er ging das Risiko ein, damals schon, Ende der Siebziger, die ganzen Punk-Gruppen aus London zu holen. Jetzt sind das auch Opas, CLASH, SEX PISTOLS, STRANGLERS und so weiter, die ließ er in der Markthalle auftreten. Und eines Tages kamen wir auf einen guten Deal. Er sagte: „Wenn die Konzerte zu Ende sind, dann schicke ich sie in die Marktstube, dann kriegt jeder einen Croque Monsieur und einen halben Liter Bier.“ Das zahlte er, alles andere müssten sie selber zahlen. So ging es los. Dann hatte ich plötzlich die bunten Herrschaften im Laden. War ja nicht immer einfach, von wegen Pogo tanzen und so. Ich habe nachher die Einrichtung so weit vereinfacht, dass nicht viel passieren konnte. Also keine Hängelampen und so Zeug, die hätten da Tarzan gespielt. Meine Frau und ich hatten jetzt einen Punkladen, das war gar nicht beabsichtigt.
Hattest du schon Erfahrungen im Kneipengeschäft?
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Ja, auf der anderen Seite der Theke. Ich bin zehn Jahre zur See gefahren, danach habe ich unheimlich viele langweilige Jobs gemacht, so das man über die Runden kam und die Familie satt wurde. Meine Frau und ich dachten, dass es so nicht weitergeht, es fehlte die Kohle. Damals gab es eine legendäre Kneipe namens Gans, am Grindel in der Nähe vom Abaton-Kino. Dort lernten wir unseren zukünftigen Partner kennen. Seine Eltern hatten ein Immobiliengeschäft im Sauerland und für ihn war es easy, die Kohle abzugeben. Die Marktstube war vorher eine heruntergewirtschaftete Griechenkneipe. Plötzlich hatten wir dann im Juni 1977 eine eigene Kneipe, das war schon eine feine Sache. Geplant war eine Eckkneipe. In der Zeit entstand das Wort Szene erst. Als dann das Gans schloss, übernahm ich die Gäste. Die Freaks, die Wahnsinnigen … Ich habe die angezogen wie die Motten das Licht. Da hatten man dann plötzlich Nina Hagen am Tresen oder Joachim Witt. Dazu die ganzen Engländer oder Amis. Wie hieß noch dieser Verrückte mit „Hit me with your rhythm stick“?
Du meinst Ian Dury.
Richtig, Ian Dury, der kam auch immer, der wohnte hier mal kurz im Viertel. Zusammen mit seinem Bodyguard. Auf welcher Droge der wohl war … Mir hatte mal einer erzählt, dass auch Allen Ginsberg da war, den habe ich gar nicht wahrgenommen. Das war ja das Gute an diesen Promis – das waren einfach Typen, die liefen da rum und man hat sie bedient. Bei einigen war klar, wer das ist, man war interessiert und hat mit denen gelabert. Zu Beginn gab es noch so eine Mischzeit, mit Hippies und Punk. Allmählich wurden die Haare kürzer bei den Hippies – einige blieben Hippies mit der Rauchware und bei anderen hieß es eben „No Future“. Wie bei so vielen ging es dann zum Iro. Aber manchmal haben die ganz schön gestresst, und trotzdem habe ich sie irgendwie lieb gewonnen. Ich nannte mich „Punkwart“ und sie kamen zur Betankung. Also das hätte man wirklich mit dem Schlauch machen können, gesoffen haben die wie die Löcher. Das war natürlich gut fürs Geschäft. Die Umsätze sprachen ja dafür weiterzumachen, auch wenn man sagte: „Schon wieder eine neue Toilette oder ein Pissbecken oder Eisentüren für das Lager.“ Als die Punk-Zeit zu Ende war, ging es auch easy weiter. Ich hatte dann die sogenannten Avantgarde-Leute im Laden. Die Oehlen-Brüder, die jetzt, glaube ich, als Maler ganz gutes Geld machen. Oder die Schriftsteller, Diederichsen und so. Aber das war angenehm nach dieser rauen Anfangszeit, da konnte man den Baseballschläger mal hinter dem Tresen lassen.
Gab es denn Situationen, wo der zum Einsatz kam?
Ihn zu zeigen, das reichte bei Dealern. Große Kneipenschlägereien gab es eigentlich nicht, eher so kleine Dinger untereinander. Die großen Sachen liefen auf der Straße ab. Es gab ja auch laufend Krieg – mit den Teds, mit den Zuhältern. Der Krieg zwischen Punk und Zuhältern ist ja auch so entstanden, dass sich eine kleine Maus, die da angeschafft hat, in einen Punk verliebt hat. Der wollte sie dann runter vom Strich holen, hätte dann aber zahlen müssen. Während dieser akuten Punkkrieg-Sache wollten die Zuhälter ja mal die Marktstube aufmischen. Ich hatte da so meine Kiez-Connection und wurde gewarnt: „Mac, ich würde an deiner Stelle morgen nicht aufmachen. Die haben deinen Laden auf dem Kieker.“ Meine Frau und ich hockten dann hinter dem Tresen, Tür zu, Außenlichtreklame auf „zu“. Aber eben Riesenfenster. Und dann sahen wir so fette Amischlitten kommen, in jedem saßen so Schmierglatzen, alle mit Baseballschlägern bewaffnet. Sie reckten ihre Glatzen aus dem Fenster, sahen, dass der Laden zu ist und fuhren weiter. Auf der Karolinenstraße haben die dann noch mit Bullen kollidiert und haben dann das „Gewinde“ aufgemischt. Das waren diese Kriege. Das nervte auch manchmal, selbst in der Freizeit konnte man nicht so ganz entspannt sein. Das war eine wilde Zeit, jeden Tag war etwas los. Zugemacht haben wir aber nie, das wäre auch tödlich gewesen, nach dem Motto „Wegen Reichtum geschlossen“. Ich war ja sowieso für viele der Kommerz-Arsch. Ich habe gesagt: „Immer schön den Ball flach halten, wo wollt ihr denn sonst hin?“ Da gibt auch einen Song von SLIME namens „Feldstraße raus, in die Marktstube rein“. Ja, mit dem Dicken von SLIME habe ich mich auch gut verstanden.
Gab es Reibereien mit der Polizei? Immerhin fungierte die Kneipe als „Punkertreff“, so nannte man das damals.
Natürlich sind da Sachen passiert, zum Beispiel wurde einmal die ganze Kneipe festgenommen. Weil die gar nicht so viele Peterwagen und Mannschaftswagen hatten, haben die uns mit den Taxen in die Wache Budapester Straße gefahren. Das waren alles Idioten, die uns mal wieder was beweisen wollten. Es standen dann Taxen bis zur nächsten Straßenecke und es fuhren immer drei oder vier Leute zusammen mit einem Polizisten zur Wache, auch die Wirte. Da herrschte natürlich eine super Stimmung, weil plötzlich die ganze Kneipe auf der Wache war, und dann brannten da irgendwelche Gardinen.
Wie ist es nach 2001 mit der Marktstube weitergegangen?
Ich habe den Laden an einen Türken verkauft. Der hat dann aber ein paar Fehler gemacht und sie haben ihm die Konzession entzogen. Übernommen hat die Kneipe dann dieser von Waldenfels, der auch den Club Uebel & Gefährlich betreibt. Dann fing das auch mit Techno an. Das lief aber auch nicht lange. Dann veranstaltete so eine politisch angehauchte Kampflesbe, die jetzt das Café Karo Ecke betreibt, dort ihre lesbischen Lesungen. Und jetzt ist da ein Bioladen drin. Das finde ich echt irre, das ist so, als ob du aus einem Puff eine Kirche machen würdest. © by Ox-Fanzine / Ausgabe #126 Juni/Juli 2016 und Kay Werner
Angela Rüpke hat Mac vor kurzem getroffen und mit ihm über die Kneipe und seine damaligen Gäste gesprochen. Es gibt so manche kuriose Geschichte in der und um die Marktstube.
Klaus Maeck ‚Burger-Krieg im Karolinenviertel‘ (Auszug), 1980
Der erste Großeinsatz: Vor dem Stranglers-Konzert im Nov. 79 bewaffnen sich viele Punks mit Messern, Stöcken und Feuerlöschern / die Teds wollen Putz machen in der Markthalle. Ganz souverän werden dann 60 Punks noch im Karolinenviertel in einer Riesenaktion eingesackt und den Abend über in Haft gehalten. Ab jetzt war klar, was wir noch alles erwarten. konnten. Die Rockerkartei, schon fast in Vergessenheit geraten, wird wieder aufgefrischt. Die STRANGLERS erzählen dem Publikum, daß auch in der Garderobe hinter der Bühne die Polizei mit Hunden wartet und spielen ihr Stück Terrorists for solidarity.
˂wir brauchen keine gurus wir brauchen keinen stoff es gibt kein paradies diese welt ist scheiße das ist nun mal so es gibt kein paradies uns kriegt man nicht wir machen nicht mit es gibt kein paradies wir schlagen zurück und alles geht kaputt es gibt kein paradies wir glauben an kein paradies wir glauben an kein paradies im himmel gibts kein bier drum trinken wir es hier˃ Songtext KRIMINALITÄTSFÖRDERUNGSCLUB (KFC)
Abgefüllt vom Thekendienst im Krawall in die Marktstube / ich glaub, ich seh nicht richtig: da sitzen Allen Ginsberg und Peter Orlovsky brüderlich mit Punks am großen Cliquentisch und diskutieren angeregt über neue Musik / ich trau der Sache ja nicht ganz. Aber auch renommierte amerikanische Schriftsteller müssen von irgendwas leben. Sie tingeln mit ihren Liedern und Versen durch die Städte Europas und finden das ganz erfrischend. Kann ich mir vorstellen; und wer schon mal drüben war, um gute Ideen zu finden, kann bestätigen, daß die Amis sich die besten Ideen immer von uns (Europäern) holen…‘ aus: rororo Sachbuch ROCK SESSION 5, 1981
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Der NDR berichtet mehrfach von den Punks in St.Pauli und Altona. Die Tagespresse ist auch dabei. Die Bild mit dicken Schlagzeilen. Und sogar das hochschulinterne Fernsehen der Universität Göttingen (HIF) – Fachbereich Erziehungswissenschaften.
Vor einigen Jahren haben sich die RAZORS zur Entwicklung des Punk in der Gesellschaft geäußert. Ihr Fazit: Punk hat sich gewandelt, ihr Kern ist geblieben. Eins-zwei, eins-zwei-drei-vier.